27 Juni 2011

"Lika, du gehst mir jetzt langsam echt auf die Nerven!" hatte Mama gesagt und das ist kein gutes Zeichen, wenn ein Buch mit einem solchen Satz anfängt. Man erwartet dann nicht, dass eine lustige Geschichte folgt. Das, was dann noch alles passieren würde, war auch nicht lustig, sondern aufregend und spannend, verzwickt und gruselig, obwohl: manchmal war es auch lustig. Aber das war alles später und ist jetzt noch gar nicht wichtig.

Ok, also von Vorne: "Lika, du gehst mir jetzt langsam echt auf die Nerven!" hatte meine Mama gesagt, als wir auf dem Weg zu meiner Omi waren. Ich hatte überhaupt keine Lust darauf, meine Ferien bei Omi zu verbringen. Ich wusste aber, wenn ich das noch ein einziges Mal sagen würde, dann würde Mama explodieren! Also, nicht wirklich explodieren, sondern mich stinksauer anbrüllen und vielleicht mit Fernsehverbot drohen oder so was ähnlichem. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und drehte mich beleidigt und schmollend von ihr weg.

Dass der Rest der Fahrt nicht besonders schön war, kannst du dir sicher vorstellen. Damit du es dir richtig gut vorstellen kannst, könnte ich jetzt über zwei Seiten schreiben: Langweilig. Blöd. Doof. Blöd, blöd, blöd! Ist das doof! Laaaaaaangweilig. Sch… äh, das darf man ja nicht sagen. Doof, blöd, doof, blöd und immer so weiter. Aber hör zu: während du es dir so richtig in der Phantasie ausmalst, wie schrecklich langweilig es tatsächlich war, erzähle ich dir warum ich eigentlich nicht zu meiner Omi fahren wollte, ok?

Früher war ich immer gerne bei Omi, denn Omi ist klasse. Omi schimpft nicht so viel wie Mama. Omi schimpft eigentlich gar nicht. Gut, fast gar nicht. Omi hat einen schönen Garten. In dem Garten kann man spielen, ohne dass Mama ständig sagt "Pass auf dies auf! Pass auf das auf!". Da gibt's Erdbeeren und Himbeeren und die finde ich super lecker. Die wachsen da einfach, man kann sie pflücken und direkt essen. Das sage ich nur, falls du denkst, die wachsen im Supermarkt. Das tun sie nämlich nicht. Bei meiner Omi wachsen noch mehr Sachen im Garten: Brombeeren, Stachelbeeren, Johannisbeeren, Rhabarber, Kartoffeln, Bohnen, Salat und Tomaten. Außerdem Kirschen und Äpfel und die wachsen auf Bäumen, auf denen man herumklettern kann.

Jetzt denkst du vielleicht: "Das ist doch alles super, wolltest du nicht eigentlich erzählen, warum du NICHT zu deiner Oma fahren wolltest?" Da hast du natürlich recht. Das Ding ist, ich bin ja kein Kleinkind mehr. Und die Vorstellung, zwei Wochen nur mit meiner Omi zu verbringen, ohne meine Freundinnen oder wenigstens irgendwelchen anderen Kindern – nein, das ging nicht. Du musst wissen: Meine Omi wohnt in einem kleinen Dorf auf dem Land und das heisst: Nicht in der Stadt. Da stehen nur ein paar Häuser und drumherum sind Felder, Hügel und Wald und sonst nichts. Aber vor allem wohnen da fast nur alte Menschen. Nichts gegen alte Menschen, wie gesagt, meine Omi ist super und die ist unglaublich alt. Aber mit alten Menschen kannst du halt nicht das gleiche machen, wie mit Menschen in deinem Alter und ich bin nun mal elf und meine Omi wahrscheinlich schon fast hundert. Mit ihr kann ich einfach nicht über alles reden, wie mit meinen Freunden. Oder stell dir vor, ich würde mit meiner Omi Fangen oder Verstecken spielen. Das geht nicht. Und dann der Nachbar von meiner Omi. Der ist bestimmt noch älter als Omi und irgendwie, ich weiss nicht, ich glaube, ich finde ihn gruselig. Meine Omi redet zwar manchmal mit ihm und er hat auch nichts böses gemacht, aber trotzdem.

Jetzt weisst du, warum ich die Ferien nicht bei meiner Omi verbringen wollte. Du kannst jetzt auch wieder aufhören, dir vorzustellen, wie langweilig und doof die Fahrt zu meiner Omi war, denn inzwischen waren Mama und ich angekommen.